Drei Gründe, warum Technik und Geschlecht zusammenhängen
Die Bohrmaschine, die Mikrowelle oder unser Smartphone: Technik ist niemals neutral – und umfasst weitaus mehr als nur Werkzeuge und Produkte, die eine spezifische Aufgabe erfüllen sollen. Sie ist ein soziales Konstrukt: Binäre Geschlechternormen und -vorstellungen beeinflussen die Nutzung, Entwicklung und Wahrnehmung von Technologien. Drei Gründe, warum die Dimensionen Technik und Geschlecht miteinander verwoben sind – und zwar nicht erst, seitdem es künstliche Intelligenz gibt.
1. TECHNIK HAT EIN GESCHLECHT
Bügeleisen sind für Frauen, Bohrmaschinen für Männer: Dass Haushaltsgeräte häufig männliche oder weibliche Assoziationen wecken, zeigte Ann Gray in den 1980er Jahren in einer Studie. Die Soziologin forderte die Frauen ihrer Versuchsgruppe auf, Geräte in ihrem Haushalt als pink oder blau zu kategorisieren. Das Ergebnis: Die meisten Küchengeräte kategorisierten die Frauen als pink. Werkzeuge hingegen identifizierten sie als blaue Geräte, da diese nicht von ihnen, sondern von ihren Ehemännern bedient wurden.
Grays Befragung liegt rund 40 Jahre zurück und mag nach verstaubten Klischees klingen. Doch sie zeigt, dass traditionelle Geschlechternormen Einfluss darauf haben, wie wir Geräte bewerten und wer die Produkte nutzt.

Wie sehr dabei auch das Design verschiedener Alltagsgeräte mit gesellschaftlichen Normen zusammenhängt, zeigten Forschende in Stockholm etwa 25 Jahre nach Grays Untersuchung: Für ihr Experiment entwickelten sie den Mega Hurricane Mixer sowie die Bohrmaschine Drill Dolphia und tauschten die ursprünglichen Designmerkmale der beiden Geräte aus: Der Küchenmixer erhielt ein „männliches“ Design, das sich laut den Forschenden durch eine Art „Maschinenästhetik“ mit eckigen Formen und dunklen Farben auszeichnete. Die Bohrmaschine gestalteten sie nach dem Vorbild eines Küchenmixers – mit weißer Verkleidung, hellblauen Details und weichen Formen. Ihre beiden Prototypen präsentierten die Forschenden unter anderem auf verschiedenen Ausstellungen. Die Reaktionen des Publikums: Sowohl Männer als auch Frauen nahmen die Bohrmaschine als „Frauen-Bohrmaschine“ wahr – und sprachen dem Gerät sogar ab, leistungsfähig zu sein. Beim Mixer hingegen vermuteten die Befragten, das Gerät müsse besonders „kraftvoll“ sein.
Dass sich das vermeintliche Geschlecht technischer Produkte allerdings auch ändern kann, zeigte die australische Techniksoziologin Judy Wajcman in ihrem Buch Technofeminism am Beispiel der Mikrowelle. Denn das Gerät sei ursprünglich als „ein direkter Nachfahre der militärischen Radartechnologie für die Zubereitung von Speisen in U-Booten der US-Marine entwickelt“ und vor allem von Männern genutzt worden, schreibt sie. Und auch als Haushaltsgerät sei der Ofenersatz ursprünglich für Single-Männer entwickelt worden. Dies habe die Hersteller:innen dazu bewegt, das Gerät in dunklen Farben – und in der Hi-fi-, statt der Küchenabteilung zu verkaufen. Der Erfolg sei jedoch ausgeblieben. Stattdessen hätten die damaligen Hausfrauen den Ofenersatz für sich entdeckt. Erst durch die neue Zielgruppe habe sich die Mikrowelle zu einem „white good“ gewandelt – und seinen Platz in der Küchenabteilung gefunden.
2. MÄNNER MACHEN TECHNIK
Das Wort Technik stammt aus dem Griechischen. Dort bedeutet téchnē so viel wie „Handwerk“ oder „Kunstfertigkeit“. Die ‚Kunst‘, Technik zu entwickeln, ist bis heute Männersache. So machten Frauen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2023 nur 18 Prozent der Beschäftigten in der technischen Forschung und Entwicklung aus. Welche Geschlechtsidentitäten neben Männern und Frauen ansonsten vertreten waren, ließ das Statistische Bundesamt offen.

Frauen ergreifen dementsprechend auch seltener eine Ausbildung oder ein Studium im technischen Bereich. Studien zeigten bereits, dass bereits Mädchen dazu neigen, technische Berufe als ‚Männerberufe‘ wahrzunehmen und ihre technischen Kompetenzen zu unterschätzen. Laut der Wissenschafts- und Techniksoziologin Hannah Fitsch passiert das nicht ohne Grund. Schon Kindern würde durch entsprechende Spielpraktiken vermittelt, Technikkompetenz wäre ein männliches Privileg: „Dass diese Zuschreibung nicht nur Nachteile für Mädchen* bereithält, die ihre technischen Fähigkeiten nicht entwickeln können und ihnen auf diese Weise jede Faszination oder Interesse an Technik abgesprochen wird, wird gleichzeitig deutlich, dass im Umkehrschluss der Gedanke, dass Jungen* sich für emotionale Arbeit und Carework interessieren könnten, verworfen wird“, schreibt die Wissenschaftlerin im Sammelband Gender und Diversity in Natur-, Technik- und Planungswissenschaften.
Das Narrativ vom technikkompetenten Mann wurzelt tief in der Technikgeschichte. Das zeigte Tanja Paulitz in einer Analyse mit dem Titel Mann und Maschine: Die Soziologin untersuchte das Berufsbild des Ingenieurs zwischen 1850 und 1930. Besonders interessant: Dass der Beruf lange Zeit ausschließlich Männern vorbehalten war, begründete die damalige Technikwissenschaft mit Geschlechterstereotypen: Während sie Männer vor allem mit Attributen wie der Tatkraft, Produktivität, Objektivität und Rationalität assoziierte, sah sie Frauen als emotionsgetriebene, subjektive Wesen an – unfähig, eine Maschine zu entwickeln oder gar zu beherrschen.
3. DER (WEIßE) MANN IST DIE NORM
Es sind also hauptsächlich Männer, die Technik machen. Das Problem: Sie machen Technik für Männer. Ein Problem, das unter anderem die Journalistin Caroline Criado-Perez in ihrem Buch Invisible Women: Exposing Data Bias in a World Designed for Men bemängelte. Bei der Entwicklung technischer Produkte würden Frauen – und somit „die Hälfte der Bevölkerung“ – außer Acht gelassen, schrieb sie. Ein Beispiel der Journalistin: Das Smartphone. Die Bildschirme der Geräte hätten sich in den letzten Jahren deutlich vergrößert. Da Frauen im Durchschnitt kleinere Hände hätten als Männer, sei es für sie nahezu unmöglich geworden, ein Smartphone einhändig zu bedienen. Zwar habe der Markt auch kleinere Modelle zu bieten, diese seien den größeren Modellen technisch jedoch meist unterlegen oder würden nicht weiterentwickelt.

Dass ein solcher Design Bias sogar lebensgefährliche Folgen haben könnte, würden Beispiele aus der Mobilitätstechnologie zeigen: Die in Autos verbauten Gurte und Airbags etwa seien auf den männlichen Körperbau ausgelegt. Ein Grund: Crash-Test-Dummies würden meist den Körperproportionen eines durchschnittlichen Mannes entsprechen, so Criado Perez. Laut einer Studie aus den USA ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine angeschnallte Person mit weiblichem Körperbau eine Verletzung erleidet, sogar um 73 % höher als bei einer Person mit männlichem Körperbau.
Forschende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt bemängeln zudem, dass das Design von Bussen und Bahnen Frauen ebenfalls ignoriere – obwohl diese aus verschiedenen Gründen häufiger auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen seien als Männer. So mangele es den dortigen Innenräumen etwa an niedrig angebrachten Festhaltemöglichkeiten. Die Forschenden merkten zudem an, dass Frauen deutlich öfter Sorgearbeiten nachkommen würden als Männer und dadurch eher mit einem Kinderwagen oder schweren Einkäufen unterwegs seien. Da es Bussen und Bahnen häufig an höhengleichen Einstiegsmöglichkeiten mangele, werde der Einstieg für Frauen dadurch zu einem Kraftakt.
TECHNIK BRAUCHT DIVERSITÄT
Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, die zeigen warum Technik und Geschlecht zusammengehören. Fest steht allerdings: Technik ist bis heute hauptsächlich mit der Vorstellung des weißen Mannes verknüpft – und spiegelt eine Ignoranz gegenüber Frauen und marginalisierten Personengruppen wider.
Die Beispiele zeigen: Um bestehende Ungleichheiten zu überwinden muss Technik vor allem diverser und inklusiver gedacht werden. Das bedeutet vor allem, dass Frauen und gesellschaftliche Minderheiten stärker in Entwicklungsprozesse einbezogen werden müssen – allerdings nicht nur als Testpersonen für neue Geräte und Systeme, sondern vor allem in der Rolle als Entwickler:innen.
Maßnahmen wie der jährlich stattfindende Girls‘ Day, der Mädchen an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik heranführen soll, sind ein erster Schritt.
Ein solcher Wandel würde aber nicht nur Bildungs- und Fördermaßnahmen erfordern, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken, das Vielfalt als Bereicherung begreift und Stereotype abbaut.
Nur so könnte Technik wirklich zum Vorteil aller existieren.