Vom Hinterfragen globaler Machtstrukturen im KI-Sektor bis hin zur (Re)präsentation analoger und KI-generierte Körper – als Regisseur:in, Performance- und Medienkünstler:in hinterfragt und kritisiert Janne Kummer die Entwicklungen und Strukturen einer durch Technologie und Digitalität geprägten Welt. Ein Beitrag über die Rolle von Künstler:innen im Diskurs um KI, The House of Monstress Intelligenzia – und Janne Kummers Experiment, eine queerfeministische KI zu entwickeln.
Computerspiele begeisterten Janne Kummer schon zu Jugendzeiten. Und auch heute nimmt das Digitale viel Raum in Kummers Leben ein: Als interdisziplinäre:r Künstler:in forscht und arbeitet they an der Schnittstelle von digitaler und darstellender Kunst sowie Game Design. Dem Interesse für digitale Medien konnte Janne Kummer während des Studiums der Theater-Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch jedoch nur selten nachkommen: „Wir haben uns dort eher mit älteren Theaterstücken befasst, die häufig sehr eurozentrische und normative Perspektiven widerspiegeln. Irgendwann war ich genervt von diesen alten Narrativen und wollte Alternativen dazu schaffen, mit denen ich mich mehr identifizieren konnte. Wir stehen heute einfach vor anderen Problemen als Dramatiker wie Ibsen und Co. damals.“

NARRATIVE DES DIGITALTEN ZEITALTERS
In der eigenen künstlerischen Arbeit beschäftigt sich Kummer nach dem Studium daher lieber mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen: „Medien und Technologie waren immer schon ein Thema für mich. Mein gesamter Alltag ist durch Medien geprägt und ich sehe sie ein Stück weit als Teil meiner Identität an. Gleichzeitig betrachte ich Technologie aber immer sehr kritisch. Sie ist biased und verstärkt Stereotype, weil sie auf den Lebenserfahrungen derer beruht, die sie entwickeln. Das ist schon lange bekannt, aber trotzdem wiederholen sich diese Probleme immer wieder von Neuem, sobald eine neue Entwicklung in den Alltag integriert wird.“
Dem möchte Janne Kummer entgegenwirken: „Mit meinen Arbeiten möchte ich zeigen, wie Technologie alte Narrative aufgreift und fortführt. Und dass sie nicht allen gleichermaßen dient.“ They habe sich deshalb auch das Programmieren beigebracht: „Als Nutzer:in konnte ich mit vielen Anwendungen und Programmen umgehen, aber irgendwann wollte ich wissen, wie sie funktionieren. Mir das Coden selbst anzueignen, empfinde ich als sehr befreiend. Es gibt mir das Gefühl, eine Entscheidungsgewalt in diesem Plattform-Kapitalismus zu haben.“
DIGITALE UND ANALOGE KÖRPER
Digitale Medien und Game Design werden für Janne Kummer zu einem Mittel, um sich kritisch mit der digitalisierten Welt auseinanderzusetzen. Dabei interessiert they sich vor allem für ein Thema: Körper bzw. Körperbilder. Sich mit der Wahrnehmung und Repräsentanz von Körpern auseinanderzusetzen, sei in Zeiten generativer KI umso wichtiger: „KI-Systeme spiegeln klassische Schönheitsideale und Geschlechterstereotype wider“, so Kummer. Die Systeme würden dadurch existierende Machtverhältnisse verstärken: „Es sind hauptsächlich weiße Cis-Männer, die Technologie entwickeln – und bestimmen, für wen Technik gemacht und wer gesehen wird.“

2021 steuert Janne Kummer diesem Problem entgegen. Gemeinsam mit Medienkünstler:in allapopp ruft they das Projekt The House of Monstress Intelligenzia ins Leben: „Wir haben uns gefragt, ob es möglich ist, eine queerfeministische KI zu entwickeln“, erzählt Kummer. Die Inspiration für das Projekt: Die Style-GAN-Website „This Person Does Not Exist“, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz täuschend echt aussehende Fotos von Menschen generiert. „Ich war fasziniert von dieser Website. Und irgendwann habe ich festgestellt, dass beim Übergang zwischen diesen heteronormativen und hauptsächlich weißen Gesichtern weitere Personen zu sehen waren, deren Aussehen überhaupt nichts mit der Norm zu tun hatte. Diese Personen standen quasi zwischen zwei Geschlechtern“, so Kummer.
THE HOUSE OF MONSTRESS INTELLIGENZIA
Diese Glitches – Fehler in der KI – nutzen die Künstler:innen als Ausgangspunkt für ihr Projekt: „Wir wollten herausfinden, ob sie dazu genutzt werden können, um ganz neue Körper zu generieren. Und zwar solche, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.“ Die beiden Künstler:innen arbeiten sich in Google Colabs ein und beginnen, ihre KI mit Bildmaterial zu füttern. „Wir wollten der KI so viel Freiraum geben, wie möglich. Also haben wir unser eigenes Datenset erstellt“, erklärt Janne. Die Basis: zahlreiche Selfies der Künstler:innen. „Diese ungelabelten Daten haben wir dann anhand bereits gelabelter Datensets trainiert. Ich habe zum Beispiel einmal ein Selfie von mir auf Basis eines Ponys trainiert“, erklärt Janne. Das Ergebnis: Eine KI, die komplett neue Körper erstellt – ohne dabei binäre Geschlechtervorstellungen und Stereotype aufzugreifen.
Die KI wird zur Basis für ein audiovisuelles Konzert, das die Künstler:innen im FFT in Düsseldorf auf die Bühner bringen. Von den genutzten Bildern, über die Texte, bis hin zur Musik – alles dabei ist KI-generiert. „Unser Material haben wir teilweise direkt auf der Bühne generiert. So konnte das Publikum live miterleben, zu welchen Ergebnissen die KI kommt“, so Janne.
MACHTSTRUKTUREN AUF DER BÜHNE SICHTBAR MACHEN
2023 konzipieren Janne und allapopp ihre Performance neu: „Aufgrund von Corona-Auflagen musste die Premiere im HAU in Berlin leider verschoben werden. Wir konnten das Stück in der ursprünglichen Form aber nicht noch einmal zeigen, da in der Zwischenzeit KI-Bildgeneratoren wie Dall-E öffentlich zugänglich geworden waren. Die Technologie hatte sich weiterentwickelt.“

In ihrer zweiten Performance, die den Beinamen Hypervelocity erhält, widmen sich die Künstler:innen den Personen und Strukturen hinter dem KI-Boom: weißen TECH BROs, die den Technologiesektor regelrecht beherrschen. „Männer wie Bill Gates, Elon Musk oder Sam Altman verbindet eine spezifische Weltsicht, die dazu führt, dass Technologie nicht inklusiv ist.“ Auf der Bühne des HAU Hebbel am Ufer in Berlin führen zwei hypersexualisierte Avatare der Künstler:innen durch die Performance – die Verkörperungen des Prompts „Beautiful Woman“. Dabei stellen die beiden KI-generierten Personen unter anderem einen wenig einsichtigen Elon Musk zur Rede, der nicht ins Berghain darf – weil er ein TECH BRO ist: Wie fühlt es sich an, aus dieser „Bro Free Zone“ ausgeschlossen zu werden – einem Ort, an dem Diversität und Inklusivität gelebt werden? Für Musk gibt es dafür nur eine Erklärung: Er sei wohl einfach überqualifiziert. „Ich habe überlegt, es zu kaufen – aber wo bleibt der Spaß dabei? Der Reiz liegt in der Jagd“, entgegnet er.
EIN HAUS MIT DREI EBENEN
Neben den beiden audiovisuellen Stücken umfasst das Projekt The House of Monstress Intelligenzia jedoch eine dritte Annäherung an den KI-Diskurs: „Uns war der Community-Aspekt bei diesem Projekt sehr wichtig. Wenn es darum geht, KI queerfeministisch zu gestalten, ist es wichtig, sich mit anderen auszutauschen, die ebenfalls in diesem Bereich aktiv sind. Deshalb haben wir einen Discord-Server eingerichtet, um den Wissensaustausch zu fördern und unsere Tools und Erkenntnisse aus dem Projekt zu teilen.“
Künstler:innen sieht Janne im Diskurs um KI in einer wichtigen Funktion: „Natürlich sehe ich in Künstlicher Intelligenz auch eine Bedrohung für die künstlerische Arbeit. Im Grafikdesign zum Beispiel wird KI sicher noch einiges verändern. Trotzdem denke ich, dass es notwendig ist, auf die strukturellen Probleme aufmerksam zu machen, die mit dem KI-Boom einhergehen. Es gibt kein Antidot dafür, aber Kunst kann helfen, die Machtstrukturen und Systeme dahinter greifbarer zu machen.“